Partikulargeschichte/Subdisziplinen/Teildisziplinen II

Innerhalb der Geschichtswissenschaft war bis in die 1960er Jahre hinein einseitig die politische Geschichte dominierend. Wer etwas Anderes machte, war ein Außenseiter. Danach war Sozialgeschichte die führende Teildisziplin, meist vermischt mit wirtschaftshistorischen Elementen und motiviert durch ein politisches Engagement. In den 80er Jahren kam die Alltagsgeschichte auf, die bald von der Kulturgeschichte abgelöst wurde. Kulturgeschichte umfasst heute die meisten Neuerungen, die innerhalb der historischen Wissenschaften in den letzten Jahren vollzogen wurden. Darunter leidet die Klarheit des Begriffs. Kulturgeschichte soll als Begriff die Synthese aus den verschiedenen Möglichkeiten leisten, die man heute hat, um Geschichte zu betreiben. Aber ausgearbeitete Synthesemodelle sind noch Mangelware. Einig ist man sich im postmodernen Credo von der Konstruiertheit unserer Lebenswelt, wobei die Konstruktionen sowie die Konstruktionsmechanismen als Kultur bezeichnet werden - in dem Sinn wie Kultur Schöpfung meint und von Natur als natürlich gegeben abgegrenzt wird. In dieser Form gibt es immer wieder leitende Teil- und Subdisziplinen in einer Wissenschaft, wobei diese dominierende Stellung aus einer zeitspezifischen Mischung gesellschaftlich-kultureller Relevanz und methodisch-theoretischer Innovation resultiert.

Prinzipiell kann jeder Gegenstandsbereich eine Teildisziplin konstituieren. Manche Teildisziplinen sind sehr eigenständig, haben eine eigene Methodologie, eigene theoretische Diskurstraditionen und sind institutionell hochgradig verdichtet. Solche, wie die Politische-, die Sozial- oder die Kulturgeschichte sind theoretisch, paradigmatisch, axiomatisch und methodisch kategorial bestimmt – obwohl nicht alles, was dann jeweils so genannt wird, gleich die kategorialen Annahmen teilen muss, d.h. nicht jede Arbeit über eine Krönungszeremonie gehört in die kategoriale Kulturgeschichte, ist aber Geschichte der Kultur. Deswegen muss man sehr genau unterscheiden, ob man mit dem Begriff einer Subdisziplin nur den Gegenstandsbereich oder das theoretische Feld bezeichnet. Manche Subdisziplinen sind bislang tatsächlich nur durch ihren Gegenstand abgegrenzt, beispielsweise die Kolonialgeschichte oder die Verkehrsgeschichte, manche haben eine eigentümliche Zwischenstellung wie die Verwaltungs- oder die Stadtgeschichte (manche Stadtgeschichte handeln einfach von einer Stadt und sind daher Stadtgeschichte, manche begreifen Stadt aber als axiomatischen Lebensraum und sind dann mehr als nur eine Teildisziplin).

Theoretisch kann man aus jedem Gegenstand eine Teildisziplin machen. Damit es überzeugt, muss aber ein gewisser Grad an Allgemeinheit herstellbar sein. In der Regel dient eine solche Verortung der besseren Anschlussfähigkeit an bestehende Forschungen – und der Zuordnung zu Traditionen, auf denen man aufbaut und mit denen man sich auseinandersetzt. Aufgrund solcher bestehenden Traditionen, gibt es einige wichtige Teildisziplinen (für die Geschichtswissenschaft u.a. Politische Geschichte, Sozial-, Kultur-, Wirtschafts-, Verwaltungs-, Stadt-, Alltags-, Mentalitäts- und Wissenschaftsgeschichte sowie die Historische Anthropologie sowie einige ungenannte mehr). Eine Zuordnung erleichtert daher den Lesern und Leserinnen den Umgang mit den Arbeiten. Manchmal aber ist eine Forschung zwischen mehreren Disziplinen angelegt. Das kann spannend sein, ist aber auch mit einem höheren Aufwand an methodisch und theoretischer Grundlagenarbeit verbunden.

Bei aller Variabilität in der Zuordnung und der Kreationsmöglichkeiten von Sub- bzw. Teildisziplinen sollte man eine wichtige begriffliche Unterscheidung im Auge behalten: Möbelgeschichte ist auf alle Fälle eine Teildisziplin, es mag separate Kongresse geben und es könnte eigene Lehrstühle beispielsweise an einer Architektur- und Kunstakademie geben, sie kommt aber ohne andere Kategorien wie Kultur, Gesellschaft usw. nicht aus - sie ist eben Geschichte der Möbel. Sozialgeschichte, Diskursgeschichte oder Geschlechtergeschichte können auch in diesem Sinn als Teil eines Ganzen verstanden werden. Öfters meint man damit aber auch die Struktur des Ganzen. Geschichte ist dann eben primär gesellschaftlich oder geschlechtlich bedingt. Dann meint Diskursgeschichte nicht einfach die Geschichte der Diskurse, sondern die Grundlagendisziplin der historischen Wissenschaften überhaupt. Dann ist Diskursgeschichte eher eine Denkform des Historikers/der Historikerin oder seine/ihre Weltanschauung, denn die Bezeichnung für eine Teildisziplin.

Stefan Haas