Gender und Geschlecht als Kategorie in der geschichtswissenschaftlichen Praxis

Den Begriff ‚Geschlecht’ bzw. seine englische Entsprechung ‚Gender’ als kategorialen Begriff einzusetzen bedeutet, die Forderung aufzustellen, dass dieser einen Faktor in wissenschaftlichen Analysen oder in der realen Wirklichkeit, je nachdem ob man dem Konstruktivismus oder dem Realismus zuneigt, beschreibt, der in keiner Forschung ausgelassen werden darf. Seine Spuren sind auffindbar in jeder kausalen Verknüpfung zweier Phänomene. Seine Wirksamkeit wird als derart mächtig angesehen, dass er der zentrale, zumindest aber einer der zentralen, ‚kategorialen’ Faktoren für die Geschichte ist – wobei wiederum zu differenzieren ist, ob man mit Geschichte die tatsächliche Vergangenheit oder ihre mediale Analyse in einer späteren Gegenwart meint. In einer kategorialen Betrachtung erscheint Geschlecht als zentrales Element in der Aufstellung kausaler Reihen und ist selbst nicht wiederum rückführbar auf Faktoren, die dieses selbst bedingen. Wäre dies so, würde man Geschlecht nicht als Kategorie, sondern nur als Gattungsbegriff von Teilen der Wirklichkeit verwenden.

Verwendet man Geschlecht als Kategorie geht man von der Annahme aus, dass das, als was man Geschlecht näher charakterisiert, der Ausgangspunkt in einer Argumentationskette ist, mit der man einen bestimmten Ausschnitt der historischen Wirklichkeit erklären will. Ein bestimmtes Verhalten in der Politik, der Wirtschaft oder in der Kultur lässt sich erklären, indem man seine Beziehungen zur Ordnung des Geschlechts, zu dessen Wirkmächtigkeit innerhalb dieses historischen Bereichs klärt. Würde man beispielsweise das Verhalten von Männern in Herrschaftsritualen der Frühen Neuzeit untersuchen und würde dieses Verhalten als Ausdruck einer spezifischen Geschlechtlichkeit, als einer Ordnung des Geschlechts erklären können, würde man Geschlecht als Kategorie verwenden. Ist aber das geschlechtsspezifische Verhalten nur die Bühne, in deren Hintergrund sich beispielsweise ökonomische Interessen verbergen, dann kann man zwar Geschlechtergeschichte betreiben, man operiert aber nicht mittels der Kategorie des Geschlechts. So kann man auch unter ökonomistischer, soziologistischer oder kulturalistischer Perspektive Geschlechtergeschichte betreiben, sieht dann aber Geschichte im wesentlichen bedingt durch ökonomische, soziale oder kulturelle Bedingungen.

Geschlecht als Kategorie zu verwenden, muss nicht bedeuten, dass man auf den biologischen Körper, mithin auf einen Naturalismus zurückgreift. Von zentraler Bedeutung ist die Unterscheidung eines biologischen Geschlechts, bezeichnet mit dem englischen Begriff ‚sex’, der nicht mit seiner deutschen Bedeutung verwechselt werden darf, und eines kulturellen Geschlechts, das auch der deutschsprachigen Forschung als ‚gender’ bezeichnet wird. Mit diesem bezeichnet man alle, der Eigenschaft Mann oder der Eigenschaft Frau zugeschriebenen Eigenarten, die aber nicht in der Biologie, sondern in der kulturellen Entwicklung begründet sind. Ein einfaches Beispiel wäre die Kleiderordnung, nach der in vielen Gesellschaften nur Frauen das Tragen von Röcken und Kleidern erlaubt ist, obwohl doch eine Fülle von Gegenbeispielen die Kontingenz dieses Phänomens zeigt. Im Kontext der Geschlechterforschung haben sich verschiedene Subdisziplinen, wie die gender studies, die men’s studies oder die womens studies herausgebildet. In der Geschichtswissenschaft ist Gender mittlerweile als Kategorie etabliert. Eine besondere Rolle kommt dabei den theoretischen Arbeiten von Judith Butler zu. In den letzten Jahren hat sich in Weiterentwicklung des Gender-Ansatzes eine Diskussion um die Möglichkeit ergeben, ‚Körper’ als Kategorie der historischen Wissenschaften einzusetzen.

Stefan Haas