Kommunikation als Kategorie

Der communicative turn ist die jüngste Grundlagendiskussionen im Kontext der Geisteswissenschaften. In ihr wird der Versuch unternommen, ‚Kommunikation’ und ihr Derivat ‚Medien’ als transdisziplinäre Kategorie heraus zu arbeiten. Zwei Gründe liegen diesem Ansinnen zu Grunde: einerseits Veränderungen in der lebensweltlichen Erfahrung der Gegenwart, andererseits spezifische Entwicklungen innerhalb der Wissenschaftsgeschichte in den letzten Jahren besonders im Kontext des Kulturalismus. In der kritischen Analyse der gegenwärtigen Kultur und Gesellschaft wird relativ häufig die zunehmende Bedeutung der Medien, besonders der Massenmedien für die Konstitution des Zusammenlebens der Menschen hervorgehoben. In Erweiterung dieses Ansatzes wird aber auch deutlich, dass nahezu jedes menschliche Phänomen sich als kommunikative Erscheinung erklären lässt. Beziehungen zwischen zwei Menschen funktionieren als Kommunikation, innerhalb der Familien und zwischen den Generationen muss Kooperation über Kommunikation hergestellt werden. Der klassische Ansatz einer Kommunikationswissenschaft hebt die Bedeutung der Massenmedien, die im Kontext der Modernisierung seit dem 18. Jahrhundert entstanden, für die Fundierung der modernen bürgerlichen Gesellschaft heraus. Zu diesen gehören die Zeitung, später die Fotografie, der Film, das Fernsehen und jüngst das Internet. Die kulturelle Bedeutung der Medien wird auch in Debatten über gegenwärtige epochale Wandlungen in der Gesellschaft hervorgehoben. Dazu gehört das Phänomen der Globalisierung, die das Problem aufwirft, wie in einer weltweiten Kultur angesichts der Vielfalt und Vielfältigkeit von Sprachen Menschen untereinander kommunizieren können. Auch die sogenannte Digitalisierung beschreibt einen zentralen globalen Trend in der Verschiebung des Mediengebrauchs, von dem angenommen wird, dass mit diesem auch grundlegende Orientierungsfunktionen in der Lebenswelt einhergehen. Als Beispiel hierfür kann man den als „Auflösung von Raum“ diskutierten Trend anführen. Dabei wird angenommen, dass mittels neuer Kommunikationstechnologien räumliche Distanz zwischen zwei Kommunikationsteilnehmern unbedeutend wird. Kommuniziert wird in sogenannter Echtzeit, das heißt das die Sendung einer Information fast zeitgleich beim Empfänger derselben ankommt auch wenn dieser sich räumlich an einem völlig anderen Ort befindet. Schon diese Veränderungen machen deutlich, dass die Frage nach der Bedeutung von Kommunikation und Medien nicht eine Detailfrage neben anderen ist, sondern Fragen der Gestaltung von zukünftiger Lebenswelt elementar betreffen. Allein dies erklärt bereits die Bedeutung, die Fragen nach einer Kommunikationsgeschichte aufwerfen, denn diese kann zum einen erklären, welche differenten Formen von Kommunikation es im Laufe der geschichtlichen Entwicklung gegeben hat, zum anderen aber auch herausarbeiten, wie die gegenwärtige Situation, die eine Fülle von Fragen aufwirft und Entscheidungen erfordert, entstanden ist. In diesem Kontext kann die Geschichtswissenschaft zwar keine in die Zukunft gerichteten Fragen beantworten, sie kann aber eine begründete Orientierung vorbereiten, die dazu beiträgt, gesellschaftlich tragfähige Antworten zu generieren. Im Kontext dieses lebensweltlich begründeten Interesses an der Kommunikation ist aber auch aufgefallen, dass sich fast jedes historische Phänomen als Kommunikationsphänomen darstellen lässt. In der Politikgeschichte ist entscheidend, wer mit wem in welchem Kontext und in welcher Form kommuniziert, wie Auseinandersetzungen durchgeführt werden und in welcher kommunikativen Form Verträge vorbereitet werden. Auch die Gesellschaft lässt sich wesentlich als kommunikativer Kontext interpretieren. Im Rahmen eines kommunikationsorientierten Zugriffs wird Gesellschaft nicht entlang sozioökonomisch begründeter Gruppenbildungen gegliedert, sondern entlang institutionalisierter Kommunikationsverhältnisse. Von besonderer Bedeutung für die Geschichtswissenschaft ist auch die sich an klassische, besonders an Habermas anschließende Thematisierung von Kommunikation, die sich um den Begriff der ‚Öffentlichkeit’ organisiert. Mit diesem Begriff bezeichnet man einen über spezifische Medien konstituierten Kommunikationsraum, in dem sich die bürgerliche Gesellschaft über sich selbst verständigt und kommunikative Strategien der Konfliktregelung und Entscheidungsgenerierung verhandelt.
Vor diesem Hintergrund wird in der kommunikativen Wende die These formuliert, dass sich Kommunikation als eine synthetische Kategorie formulieren lässt, die in der Lage ist, unterschiedliche Gegenstände und Themen der Geschichtsbetrachtung so zusammenzufassen, dass sie sich aufeinander beziehen lassen und ein Zusammenhang zwischen den vordergründig disparat erscheinenden Formen, Geschichtswissenschaft zu betreiben, herstellen lässt. Daneben ist das Thema der Kommunikation für die Wissenschaft auch deswegen von besonderem Interesse, weil angesichts der Heterogenität und Ambivalenz mit der Forschung heutzutage möglich ist, auch die Frage aufgeworfen werden muss, wie und in welcher Form eine gelingende Kommunikation zwischen unterschiedlichen Theorien und Disziplinen innerhalb der Wissenschaften möglich ist. Die Frage, die auch mit der Kommunikation als Thema und Gegenstand und Kategorie der historischen Wissenschaften gestellt ist, ist auch die Frage ob wir uns nicht alle gemeinsam als Kommunikationswissenschaften formulieren können. Um dies zu ermöglichen, darf aber nicht als Kommunikationsgeschichte nur jene gelten, die sich mit der Geschichte der Massenmedien und der Öffentlichkeit beschäftigt. Kommunikation findet an jedem Ort und zu jeder Zeit statt. Medien werden in unterschiedlichster Form eingesetzt. So hat im Kontext der neueren Kulturgeschichte die Forschung auch herausgearbeitet, dass die Art und Weise wie Menschen miteinander kommunizieren nicht allein textlich geschieht, sondern auch symbolische, visuelle, rituelle und performative Kommunikationsformen von hoher Bedeutung sind. Es hat sich als lohnend erwiesen, zu fragen, inwiefern die verschiedenen Art und Weise in denen Menschen kommunizieren können sich im Laufe der Zeit verändern und wie sie in besonderen historischen Konstellationen eingesetzt werden. So hat sich gerade im Kontext der Frage nach den dominierenden Medien einer Epoche eine Forschung entwickelt, die orale Kulturen von schriftlich textlichen Kulturen zu unterscheiden in der Lage ist. In Erweiterung dieser These kann dann die Frage aufgestellt werden, was es bedeutet, dass die Kultur im 19. und vor allem 20. Jahrhundert zunehmend visuell funktioniert – und ob es einen Unterschied machen wird, dass sich zu Beginn des 21. Jahrhundert digitale Kommunikationstechniken durchzusetzen beginnen, die zunehmend nicht nur von uns im Alltag verwendet werden, sondern auch unsere lebensweltlich Orientierung und unsere Form des Kommunizierens bestimmen. In der allgemeinen Bedeutung, die der Kommunikationsbegriff hat, kann nahezu jede Form der älteren Geschichtsbetrachtung als Kommunikationsgeschichte gelten. Für die aktuelle Diskussion um die Konzeption des Begriffes Kommunikation im Kontext der historischen Wissenschaften sind zwei theoretische Ansätze von besonderer Bedeutung die einen sind die so genannten Dispositivtheorien. Die zweite, gegenwärtig besonders intensiv rezitierte Form der Medien- und Kommunikationstheorien stammt aus dem Kontext der Systemtheorie.

Stefan Haas